Illustration: Shutterstock / Paul Fleet

ChatGPT und die Folgen: Wie Künstliche Intelligenz die Schule verändern wird – ein Überblick über die Debatte

Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch. Aktuell gibt es heiße Diskussionen um das neueste Tool mit Namen ChatGPT. Der Chatbot basiert auf maschinellem Lernen und wurde mit Unmengen von Text trainiert. Nun ist er in der Lage, wie ein menschlicher Gesprächspartner zu antworten. Man kann sich mit dem Bot aber nicht nur im Internet unterhalten, sondern er verfasst auf Kommando auch Texte aller Art – wie Aufsätze und Hausaufgaben. Das macht ihn für die Schulen heikel.

„Diese Entwicklungen werden die Schule verändern“, sagt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Berlins Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse voraus. Der Bayerische Realschullehrerverband sieht das ähnlich. Diese Entwicklungen würden den Schülerinnen und Schüler nicht verborgen bleiben, so der Digitalbeauftragte Ferdinand Stipberger auf News4teachers. Es liege auf der Hand, dass die Jugendlichen dieses Tool für das Verfassen von Hausaufgaben verwendeten. Anja Bensinger-Stolze von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sieht in ChatGPT eine große Gefahr. Die Schülerinnen und Schüler lernten nicht mehr, Bezüge herzustellen, wenn sie vom Chatbot generierte Texte einfach abtippten, um die Hausaufgaben zu erledigen. Was ist dran am Hype?

„Auch wenn das Modell bereits sehr gut funktioniert, gibt es noch immer des Öfteren falsche Antworten, die gleichzeitig allerdings sehr überzeugend klingen“, erläutert Iryna Gurevych, Informatikprofessorin an der Technischen Universität Darmstadt. Fragt man den Chatbot beispielsweise nach Olaf Scholz, erhält man die Antwort, dass dieser Finanzminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland im Kabinett Merkel IV sei. Das liegt daran, dass der Chatbot bislang nur auf Informationen bis September 2021 zurückgreift. Das wird sich sicher bald ändern.

Wir dürfen solche technologischen Innovationen weder kategorisch ablehnen noch verbieten. Viel wichtiger sind klare Regeln und ein sinnvoller, gezielter Umgang mit KI.

Grundsätzlicher ist ein anderes Problem. „Wir können nicht mehr davon ausgehen, wenn jemand einen schönen Text als Zusammenfassung für die Literatur schreibt, dass er die Literatur verstanden hat“, erläutert Katharina Morik, Informatikprofessorin an der Technischen Universität Dortmund. In der Folge kocht eine Debatte darüber auf, ob ChatGPT für Schülerinnen und Schüler verboten werden solle, um Täuschungsversuche zu verhindern.

KMK-Präsidentin Busse hält Verbote von KI nicht für sinnvoll. „Die Frage muss doch eher sein, welche Kompetenzen braucht es, um Künstliche Intelligenz sinnvoll nutzen zu können“, sagt sie gegenüber dem Portal Bildung.Table. Ähnlich äußert sich Ferdinand Stipberger vom bayerischen Realschullehrerverband. „Wir dürfen solche technologischen Innovationen weder kategorisch ablehnen noch verbieten. Viel wichtiger sind klare Regeln und ein sinnvoller, gezielter Umgang mit KI“, meint er. Dafür müsste es aber auch entsprechende Fortbildungen für Lehrkräfte geben, so Stipberger weiter.

Anja Bensinger-Stolze von der GEW rät den Schulen angesichts der neuen Situation, ihre Prüfungsmethoden zu überdenken. Reflexion und Interpretation seien gefordert – anstatt nur Wissen abzufragen.

Allerdings ist die Verunsicherung in den Lehrerzimmern groß. „Wir brauchen verbindliche Regelungen für den Umgang im Unterricht und bei schriftlichen Fach- oder Hausarbeiten. Der Philologenverband fordert daher schnellstmöglich einen KI-Gipfel in NRW, bei dem Fragen geklärt werden, die Schulen nicht allein beantworten können“, sagt die Vorsitzende des Philologenverbandes Nordrhein-Westfalen, Sabine Mistler. „Wir stellen uns vor, dass sich dabei nicht nur Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung zusammensetzen, sondern vor allem auch Vertreterinnen und Vertreter der Praxis, sprich Lehrkräfte, die in ihrem Berufsalltag schon häufig mit der Software zu tun haben.“ Es müssen rechtliche, datenschutzrechtliche und didaktisch-pädagogische Fragen geklärt werden. Auch Aspekte der Bildungsgerechtigkeit dürften dabei nicht außer Acht gelassen werden.

Und schon wieder taucht die Frage auf, wie Schülerleistungen in Zukunft zu bewerten seien, wenn nicht mehr sichergestellt werden kann, dass sie selbstständig und ohne Künstliche Intelligenz erstellt worden sind. „Wir müssen auch künftig eigenständige Leistungen von Schülerinnen und Schülern bewerten können. Unter Umständen muss man die Verwendung von KI-Systemen in bestimmten Situationen untersagen oder einschränken“, betont Sabine Mistler. Diese Entscheidung könne aber nicht von einzelnen Schulen getroffen, sondern müsse politisch gefällt werden. Das NRW-Schulministerium hat Handreichungen zum Umgang mit KI-Programmen zeitnahe in Aussicht gestellt.

KI ersetzt nicht das Verstehen, Verarbeiten und Anwenden von Gelerntem.

In Bayern macht man sich bereits Gedanken, wie man eventuellen Täuschungsversuchen durch Künstliche Intelligenz entgegenwirken kann. Dabei sollen auch Computerprogramme zum Einsatz kommen, die den Einsatz von Chatbots erkennen können. „Diese Programme werden sicherlich in naher Zukunft noch verbessert und weiterentwickelt werden“, sagte Kultusminister Michael Piazolo gegenüber der Deutschen Presseagentur. Eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung von solchen Täuschungsversuchen nehmen ihm zufolge allerdings die Lehrerinnen und Lehrer ein. Diese könnten die Leistungen der Schülerinnen und Schüler am besten beurteilen.

Die Kreativität der Schülerinnen und Schüler und die eigene Reflexion mit den Unterrichtsinhalten müssten mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Auch der Lern- und Lösungsprozess müsse transparenter gemacht werden. Für Michael Piazolo sind auch mündliche Gespräche oder Rechenschaftsberichte zu abgegebenen Schüleraufgaben vorstellbar.

Für Piazolo stellt die KI in den Schulen einerseits eine große Herausforderung dar, andererseits sieht er in Programmen wie dem Chatbot ChatGPT auch Chancen für den Unterricht. So könnte Künstliche Intelligenz für Vorarbeiten wie Recherchen genutzt werden. „Die Schülerinnen und Schüler sind dann aber gefordert, die Ergebnisse zu prüfen und zu verifizieren“, betont der Kultusminister. „Gleiches gilt zum Beispiel für Referate. KI ersetzt nicht das Verstehen, Verarbeiten und Anwenden von Gelerntem.“ In Bayern gibt es seit kurzem ein Projekt, das die möglichen Einsatzbereiche  und Herausforderungen von KI an Schulen prüft. Bereits 15 Bayerische Schulen beteiligen sich am Projekt KI@School. Dort gibt es auch Fortbildungsangebote für Lehrkräfte.   

Auch Enkelejda Kasneci, Informatikprofessorin an der Technischen Universität München, sieht großes Potenzial in der Anwendung des Chatbots in Schulen und anderen Bildungskontexten. Sie meint sogar, dass ChatGPT zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen kann. So könne der Chatbot denjenigen helfen, sich in Texten besser auszudrücken, die damit zum Beispiel aufgrund einer Behinderung normalerweise Schwierigkeiten hätten. Dadurch werde mehr Partizipation möglich.

Kasneci sieht vielfältige Einsatzmöglichkeiten von ChatGPT im Unterricht – um nämlich „mit dem personalisierten Einsatz solcher Tools die individuellen Schwächen jedes einzelnen Kindes zu entschärfen, die Stärken hervorzuheben und zu einem konstruktiven Lernerfolg beizutragen“, erläutert sie in einer Pressemitteilung der TU München. „Wir reden ja über ein KI-basiertes Werkzeug, das unterschiedliche Formen von Texten erkennen und schreiben kann. Schülerinnen und Schüler könnten Vorschläge für sprachliche Verbesserungen und Alternativen für verschiedene Textgestaltungen gezeigt bekommen. Das kann ihnen helfen, ihre Ausdrucksfähigkeit zu verbessern.“

Diese Rückmeldungen könnte man an das Alter und die Kompetenzen des jeweiligen Kindes anpassen. Durch ChatGPT könne das Sprachverständnis der Kinder und Jugendlichen gefördert werden, so Enkelejda Kasneci weiter.

Sie sieht noch einen weiteren Vorteil von Programmen wie ChatGPT in puncto Prüfungsvorbereitung: „Sie können beispielsweise Fragen zu einem bestimmten Thema kreieren. Jugendliche könnten sie also zu Hause als Lernbuddy für eine Prüfung nutzen, der auf diejenigen Punkte besonders eingeht, die sie noch nicht so gut beherrschen. Diesen Grad an Individualisierung können die Schulen im Alltag bislang kaum leisten.“ Deshalb sei es wichtig, genau zu erforschen, in welchen Bildungskontexten ChatGPT in Zukunft eingesetzt werden könne. Bis es soweit ist, rät Kasneci allen Lehrkräften, die Künstliche Intelligenz gemeinsam mit den Schülerinnen und Schüler auszuprobieren und der Kreativität dabei keine Grenzen zu setzen. Sowohl Lehrkräfte als auch Schülerschaft sollten sich allerdings ihren kritischen Blick auf ChatGPT und Co. bewahren.

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