BERLIN. Es hakt. Die Hälfte der bisherigen Laufzeit des Digitalpakts Schule ist vorbei, doch bis zum letzten Stichtag waren nicht mal 15 Prozent der eingeplanten Bundesmittel abgerufen. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) plant deshalb ein Krisentreffen, will sich in Kürze „mit Ländern und Kommunen an einen Tisch setzen“, um die Hürden abzubauen, wie sie gegenüber dem „Handelsblatt“ erklärte. Welche das sind, schon darüber herrscht allerdings Uneinigkeit. Bund und Länder geben sich für zu viel Bürokratie gegenseitig die Schuld. Trotzdem verspricht der Koalitionsvertrag bereits einen Digitalpakt 2.0.
Stark-Watzinger meint mit Blick auf die Länder: „Komplizierte Anträge etwa sind kontraproduktiv, besser wäre ein knappes Standardverfahren“. Auch seien die Anforderungen teilweise hinderlich: „In Hessen beispielsweise ist Glasfaser Bedingung, die gibt es aber nicht überall.“ Und die Ausschreibungen könne man „sicher noch pragmatischer regeln“.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), sieht laut „Handelsblatt“ dagegen den Bund in der Pflicht. Der solle doch Anreize für die Umsetzung schaffen, also schnellere Kommunen belohnen. Demgegenüber zeigt sich Stark-Watzinger jedoch „skeptisch“: Anreize seien zwar „grundsätzlich immer gut“, aber Corona habe die Digitalisierungsdefizite der Schulen so schonungslos offengelegt, dass „jeder sieht, dass es so nicht weitergehen kann“. Es sei also besser, sich darauf zu konzentrieren, Hindernisse abzubauen.
So oder so: Von den 6,5 Milliarden Euro, mit denen der Digitalpakt mittlerweile ausgestattet ist, waren laut Bundesbildungsministerium bis zum jüngsten Stichtag im Juni 2021 gerade mal 852 Millionen Euro abgeflossen.
Allerdings scheint langsam Bewegung in das Programm zu kommen. Die Schulträger in Hessen haben sich laut Kultusministerium alle mittlerweile um eine Förderung aus dem Digitalpakt beworben. Die Summe von insgesamt 410 Millionen Euro sei von den 34 öffentlichen Schulträgern vollständig beantragt worden, hieß es in Wiesbaden. Auch Köln meldete in der vergangenen Woche, Mittel in Höhe von 47,3 Millionen Euro aus dem Förderprogramm beantragt zu haben. Die Stadt selbst stocke die Summe auf insgesamt 52,5 Millionen Euro auf und schaffe so bis Ende 2024 die Voraussetzung, die höchstmögliche Fördersumme abzurufen.
“Kraftakt” nötig zum Abruf von Fördermitteln
Um die Bedingungen zu erfüllen, musste die Stadtverwaltung nach eigener Darstellung allerdings etliche Hürden nehmen: „Detaillierte Bedarfsprüfungen an Schulen, umfangreiche sowie detaillierte Vorbereitungen europaweiter Ausschreibungen sowie mit den beteiligten Schulen abgestimmte Berichte über technisch-pädagogische Einsatzkonzepte wurden erstellt. Darüber hinaus mussten alle geplanten Maßnahmen im Anschluss einzeln bei der Bezirksregierung beantragt und hierfür ausführlich begründet werden.“
Robert Voigtsberger, Kölns Beigeordneter für Bildung, Jugend und Sport, meint denn auch: „Uns ist ein wahrer Kraftakt gelungen, die für die Stadt Köln vorgesehenen Fördermittel vollständig beantragen zu können. Das war äußerst zeitaufwendig und personalaufwendig. Wir wünschen uns künftig ein vereinfachtes Verfahren, um die wichtigen Mittel schneller und unbürokratischer abrufen zu können.“
Das scheint auch nötig zu sein. Denn die Bundesregierung setzt sich in ihrem im Dezember 2021 unterschriebenen Koalitionsvertrag große Ziele, um die digitale Bildung in Deutschland voranzubringen – nachhaltig. Länder und Kommunen sollen dafür zumindest schon mal mittelfristig verbindlich bei der Digitalisierung des Bildungswesens unterstützt werden, und dafür soll der seit 2019 bestehende – und bislang bis 2025 terminierte – Digitalpakt Schule verlängert werden. In der Diktion der FDP ist von einem „Digitalpakt 2.0“ die Rede.
„Beratungs-, Service- und Vernetzungsangebote werden vor Ort zur Unterstützung geschaffen“, so heißt es in dem Papier, allerdings ohne konkret auszuführen, was damit gemeint ist. „Der Digitalpakt wird die nachhaltige Neuanschaffung von Hardware, den Austausch veralteter Technik sowie die Gerätewartung und Administration umfassen“, so heißt es im Koalitionsvertrag.
Weiter vereinbart die Ampel-Koalition: „Die digitale Lernmittelfreiheit werden wir für bedürftige Schülerinnen und Schüler weiter fördern.“ Bund und Länder würden zudem die Einrichtung, den Betrieb und die Vernetzung von Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung unterstützen. Zudem soll eine „zentrale Anlaufstelle für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt“ geschaffen werden.
Entbürokratisierung noch 2022?
Es sollen gemeinsam mit den Ländern digitale Programmstrukturen und Plattformen für Open Educational Ressources (OER) geschaffen werden. Die Entwicklung intelligenter, auch lizenzfreier Lehr- und Lernsoftware sowie die Erstellung von Positivlisten datenschutzkonformer digitaler Lehr- und Lernmittel steht auf der Agenda. Außerdem soll eine Bundeszentrale für digitale Bildung geschaffen werden. Digitale Medien sollen auch in der frühkindlichen Bildung mit der entsprechenden technischen Ausstattung zum Einsatz kommen: Schon Kita-Kinder soll Medienkompetenz vermittelt werden.
Die Bundesbildungsministerin setzt der Koalitionsvertrag unter Druck: „Den Mittelabruf beim Digitalpakt Schule werden wir beschleunigen und entbürokratisieren. Bund, Länder und Kommunen identifizieren noch im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam Vorschläge für kurzfristige Lösungen und vereinbaren Umsetzungsschritte.“ Stark-Watzinger ist also am Zug.
Wie sehr es hakt, machte unlängst eine Umfrage des Deutschen Philologenverbands unter seinen Mitgliedern deutlich. Danach hatten bis November 2021 gut 43 Prozent der 7.000 befragten Gymnasiallehrkräfte noch immer kein digitales Endgerät von ihren Dienstherren bekommen. 62,5 Prozent konnten an ihrer Schule nicht auf einen professionellen IT-Betreuer zurückgreifen. Und: Knapp 50 Prozent gaben an, an Schulen zu unterrichten, an denen nicht mal das WLAN vernünftig für den Unterricht nutzbar ist.
Hier lässt sich der Koalitionsvertrag herunterladen. https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf