Eine Schülerin arbeitet mit ihrem Tablet.
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Bündnis fordert einklagbares Recht auf digitale Bildung

Deutschlands Schüler*innen, Eltern und der Digitalverband Bitkom fordern gemeinsam ein Recht auf digitale Bildung. Der Anspruch auf eine digitale Teilnahme am Schulunterricht und weiteren staatlich finanzierten und co-finanzierten Bildungsangeboten müsse einklagbar sein, erklären die drei Organisationen. Volker Jürgens, Geschäftsführer des IT-Unternehmens AixConcept aus Stolberg bei Aachen und bis vor Kurzem langjähriger Vorsitzender des Ausschusses für Digitale Bildung des Didacta Verbands, sieht die Forderung kritisch; auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hält ein solches Recht für unnötig.

„Wir schreiben uns Chancengleichheit auf die Fahnen. Doch seit Beginn der Pandemie hat sich Deutschland von einem chancengleichen Zugang zu schulischer Bildung weit entfernt“, kritisiert Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom. Ihm stimmt Christiane Gotte, Vorsitzende des Bundeselternrates zu: „Der Zugang zu schulischer Bildung war von der digitalen Vorausstattung und den damit verbundenen Konzepten an Schulen abhängig – und damit vom Zufall. Im Sinne der Chancengerechtigkeit ein untragbarer Zustand.“ Ein Recht auf digitale Bildung könne, so Gotte, dazu beitragen, „Defizite gar nicht erst entstehen zu lassen“ – und zwar über die Pandemie hinaus, wenn Präsenz aus anderen Gründen nicht möglich sei, zum Beispiel bei Unterrichtsausfällen und Krankheit.

Rechtsgutachten: Keine Grundgesetzänderung notwendig

„Digitales Arbeiten im Unterricht muss selbstverständlich sein“, fordert auch die Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, Katharina Swinka. Die Investitionen der vergangenen Jahre in Know-How, Hard- und Software dürften nicht umsonst gewesen sein. „In Schulen auf einem digitalen Standard aus Zeiten vor der Pandemie weiterzuarbeiten wäre unverzeihlich für Schülerinnen und Schüler – und den Fortschritt selbst.“ Bitkom-Präsident Berg sieht die Bündnisforderung vom Bundesverfassungsgericht gestützt, das kürzlich einen Anspruch auf schulische Bildung festgestellt hat. „Dieser Anspruch sollte nun auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden und digitale Angebote einschließen“, so Berg.

Nach einem von Bitkom in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten bedürfe ein einklagbares Recht auf digitale Bildung weder einer Änderung des Grundgesetzes noch der Landesverfassungen. „Schon im geltenden Verfassungsrecht finden sich Ansätze eines Rechts auf digitale Bildung, auch wenn ein einklagbarer Anspruch bisher fehlt. Solange man digitale Angebote als ein ‚sur plus‘ zum überwiegend physisch stattfindenden Unterricht versteht, lässt sich ein Recht auf digitale Bildung gesetzlich gut umsetzen. Einer Verfassungsänderung bedarf es nicht“, fasst Cornelius Böllhoff, Gutachter und Partner der beauftragten Sozietät Redeker Sellner Dahs das Ergebnis zusammen. Zudem ließen auch die Vorgaben der Landesverfassungen, in denen die Schulpflicht geregelt ist, Spielraum, um den Grundsatz des Präsenzunterrichts um digitale Angebote zu erweitern. Ein Recht auf digitale Bildung könnte demnach etwa in den einzelnen Schul-, Hochschul- und Weiterbildungsgesetzen der Länder verankert werden. Das würde auch für entsprechende Regelungen auf Bundesebene für Bildungseinrichtungen des Bundes gelten.


Wichtiger als solcher Aktionismus ist, dass die Politik endlich die richtigen Rahmenbedingungen für die schulische Digitalisierung schafft und dabei pragmatisch, statt ideologisch vorgeht.

– Volker Jürgens, Geschäftsführung AixConcept

AixConcept-Geschäftsführer Volker Jürgens hält ein einklagbares Recht auf digitale Bildung für nicht zielführend. Die Digitalisierung der Schulen sei ein Prozess mit vielen Facetten, den ein solches Recht nicht beschleunigen würde. An aktuellen Lieferengpässen bei IT-Produkten und dem Fachkräftemangel im IT-Bereich könne es beispielsweise nichts ändern. Zudem kritisiert Jürgens, dass das Bündnis nicht näher definiere, was unter einem Recht auf digitale Bildung zu verstehen sei. „Müssen Schulen bestimmte Bildungsinhalte vermitteln, notwendige technische Ausstattung vorhalten oder entsprechende Fortbildungen für Lehrkräfte organisieren? Und was passiert, wenn Eltern vor Gericht Recht bekommen? Wie geht es danach weiter? Von jetzt auf gleich lassen sich die genannten Voraussetzungen nicht mal eben schaffen, um qualitativ hochwertigen digitalgestützten Unterricht zu bieten.“ Wichtiger als solcher Aktionismus sei es, dass die Politik endlich die richtigen Rahmenbedingungen für die schulische Digitalisierung schaffe und dabei pragmatisch, statt ideologisch vorgehe, so Jürgens. Notwendige Schritte benenne der Didacta Verband der Bildungswirtschaft etwa in einer aktuellen Stellungnahme. In dieser fordert er unter anderem „die Reduzierung der staatlichen Eingriffe bei Aufbau und Einsatz der digitalen Infrastruktur“ (mehr zur Stellungnahme des Verbands finden Sie hier auf EDL).

Das Beispiel Nordrhein-Westfalen verdeutlicht Jürgens‘ Kritik: Als erstes Bundesland hat NRW im 16. Schulrechtsänderungsgesetz die Vermittlung digitaler Kompetenzen als Teil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schulen festgeschrieben. Ein Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes im Auftrag der Grünen führt allerdings an, dass die Gesetzesnovellierung nicht verfassungskonform sei, denn die Voraussetzungen für den digitalen Unterricht seien nicht ausreichend geregelt. Dies betreffe vor allem die technische Ausstattung der Schüler*innen (mehr zum Thema finden Sie hier auf EDL).

VBE: Rechtsanspruch unnötig

Auch der VBE zeigt sich von der Forderung des Bündnisses nicht überzeugt: „Ich bin der Auffassung, dass wir einen eigenen Rechtsanspruch auf digitale Bildung nicht brauchen“, erklärt VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann. Er verweist auf den vom Bundesverfassungsgericht bereits festgestellten grundsätzlichen Rechtsanspruch auf Bildung. Darauf aufbauend müsse geklärt werden, was den „unverzichtbaren Mindeststandard von Bildungsangeboten“, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert, kennzeichnet. „Dieser Standard hat dann für alle Bildungsangebote zu gelten, egal ob analog oder digital […] und zwar in allen Dimensionen, bei Technik, Infrastruktur, Pädagogik und Didaktik genauso wie bei digitalen Anwendungen und (Weiter-)Bildungsangeboten für Lehrkräfte“, so Beckmann. „Nur so lässt sich qualitativ hochwertige digitale Bildung für Schülerinnen und Schüler realisieren“.