Den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten, so betonen die Kultusminister*innen der Länder in der Corona-Pandemie immer wieder, habe die höchste Priorität. Sie begründen ihre Entscheidung unter anderem mit dem Verweis, nur auf diese Weise den Kindern und Jugendlichen ihr Recht auf Bildung und Teilhabe gewähren zu können. Allerdings: Verfügen alle Beteiligten über die notwendigen technischen Voraussetzungen, ist Lernerfolg auch im Distanzunterricht möglich. Darauf weist eine Studie von Wissenschaftler*innen des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien hin. Als besonders günstig haben sich demnach Unterrichtsmethoden erwiesen, die auch über die Distanz einen persönlichen Kontakt ermöglichen und Beziehungen aufrechterhalten.
Das Tübinger Forschungsteam hat untersucht, wie Lehrkräfte während der ersten coronabedingten Schulschließungsphase im Frühsommer 2020 den Distanzunterricht gestaltet und wie Schüler*innen sowie Eltern die Qualität dieses Unterrichts wahrgenommen haben. Rund 3.200 Lernende, 1.700 Eltern und 300 Lehrkräfte von weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg beteiligten sich an der Studie.
Ein Fokus: Effekte von Unterrichtsmethoden
Im Mittelpunkt der Untersuchung standen die Lehrer*innen der Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch. Sie sollten angeben, wie sie konkret ihren Unterricht gestaltet hatten, zum Beispiel mit Videomeetings, Gruppenarbeiten, Onlinepräsentationen oder Lernvideos. Von den Eltern und Schüler*innen wollten die Wissenschaftler*innen wiederum wissen, welche dieser Methoden sie als besonders hilfreich für das Lernen auf Distanz erlebt hatten. Dabei war von Interesse, wie sie die Struktur des Unterrichts, das Feedback der Lehrkraft oder die Gestaltung der Übungsphasen wahrgenommen hatten. Darüber hinaus untersuchte das Forschungsteam, wie die Unterrichtsmethoden beispielsweise mit der Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft der Schüler*innen oder mit der erlebten Klassengemeinschaft zusammenhingen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die befragten Lehrkräfte eine große Bandbreite von Gestaltungsmöglichkeiten nutzten und diese stark vom jeweiligen Unterrichtsfach und der Lehrkraft abhängig waren. Während Videomeetings oder Treffen mit einzelnen Schüler*innen über alle Fächer hinweg eingesetzt wurden, verwendeten Mathematiklehrkräfte verstärkt selbstproduzierte Lernvideos. In den Fächern Deutsch und Englisch hingegen spielte Gruppenarbeit eine größere Rolle.
Mehr Lernfreude durch beziehungsfördernde Formate
Auf Seiten der Lernenden und Eltern zeigte sich, dass diese Unterrichtsmethoden, die eine persönliche Beziehung zur Lehrkraft oder den Klassenkamerad*innen ermöglichten und die soziale Interaktion förderten, als besonders lernwirksam erachteten. Gleichzeitig trugen Formate wie Videomeetings oder persönliche Treffen der Lehrkraft mit einzelnen Schüler*innen am meisten zur Unterrichtsqualität und zur Freude am Lernen oder der Anstrengungsbereitschaft bei. „Das große Bedürfnis von Schülerinnen und Schülern nach einem persönlichen Kontakt zur Lehrkraft zeigte sich auch eindrücklich an einem weiteren Ergebnis der Studie: Selbstgemachte Videos der Lehrkräfte wurden am besten beurteilt“, sagt Bildungsforscherin Ann-Kathrin Jaekel vom Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen. Hingegen hatten Lernvideos von Drittanbietern auf Plattformen wie YouTube oder Planet Schule keine relevante Auswirkung auf die Unterrichtsqualität. Demnach komme es den Schüler*innen und deren Eltern nicht auf ein perfekt gestaltetes Video an. „Sie wollen lieber die eigene Lehrkraft sehen und das Gefühl haben, da hat sich jemand für uns richtig Mühe gegeben“, schlussfolgert Jaekel.
Auch wenn der regelmäßige persönliche Austausch mit den Schüler*innen für Lehrkräfte mitunter einen großen Aufwand bedeute, rät Bildungsforscherin Jaekel Lehrenden vor dem Hintergrund der Studienergebnisse, dies den Lernenden verlässlich zu ermöglichen.