Die Medienberichterstattung über Schulschließungen und Wechselunterricht in Folge der Corona-Pandemie zeichnete vielfach ein Bild eines überforderten Systems: Schonungslos offenbarten sich dabei die Mängel der Digitalisierung staatlicher Schulen. Und der Privatschulsektor? Welche Erfahrungen haben Kollegien von Schulen in freier Trägerschaft gemacht? Darüber sprach Einfach.Digital.Lernen. mit Falk Raschke, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Privatschulen Hessen.
Einfach.Digital.Lernen.: Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen im Schulbetrieb haben 2020 unerwartet den Druck auf die schulische Digitalisierung erhöht. Wie haben Privatschulen die Situation wahrgenommen?
Falk Raschke: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW hat Ende 2020 in der Studie „SchülerInnen in Corona-Zeiten“ herausgefunden, dass es im ersten Lockdown teils deutliche Unterschiede im Zugang zu Lernmaterial nach Schultypen und -trägern gab. Demnach haben Videokonferenzen und digitale Konzepte an Ersatzschulen im Durchschnitt gut funktioniert. Ehrlich gesagt ist das auch dem glücklichen Umstand geschuldet, dass sich viele Schulen in freier Trägerschaft bereits vor der Corona-Krise der digitalen Transformation gestellt haben. Dadurch konnte mit dem Lockdown vielfach direkt auf Homeschooling umgeschaltet werden, ohne dass massiv Unterricht ausfallen musste.
EDL: Wie kommt es, dass viele Privatschulen schon vor Corona stärker digital aufgestellt waren?
Falk Raschke: Das Zauberwort heißt Privatschulfreiheit. Schulen in freier Trägerschaft ist es erlaubt, Schule anders zu machen. Insofern sehen wir uns als Ersatzschulen und Privatschulen auch häufig als Orte der Innovation, an denen neue Dinge und neue pädagogische Konzepte ausprobiert werden können. Wir sind vielfach Vorreiter und was funktioniert, wird dann auch vom öffentlichen Schulsystem übernommen, wie zum Beispiel der Ganztag, den es auch zuerst im Ersatzschulbereich gab. Im Falle der Digitalisierung ermöglicht die Privatschulfreiheit den Schulen, ihre Lieferanten und Dienstleister selbst auszusuchen und mit der Digitalwirtschaft zusammenzuarbeiten. Viele Ersatzschulen wurden gezielt angesprochen, um digitale Produkte als Pilotschulen einzuführen und teils gemeinsam mit den Anbietern weiterzuentwickeln. Diese Erfahrungen haben sich dann positiv auf das gesamte Schulwesen in Deutschland ausgewirkt, auf Privatschulen und auf öffentliche Schulen.
Aber natürlich kostet eine gute digitale Ausstattung Geld. Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren hohe Summen aufgebracht, um das Schulwesen zu digitalisieren. Ersatzschulen sind beim Digitalpakt zum Glück gleichberechtigt antragsberechtigt. Durch die bereits angesprochene Flexibilität haben viele Ersatzschulen ihre digitalen Konzepte schnell entwickelt, die Anträge schnell eingereicht und die Mittel schnell abgerufen. Privatschulen sind agile Schnellboote und keine langsamen Tanker.
EDL: Lässt sich also das Fazit ziehen, dass Schulen in freier Trägerschaft digital besser vorbereitet waren und daher die Zeiten der Schulschließung und des Wechselunterrichts erfolgreicher gemeistert haben als staatliche Schulen?
Falk Raschke: Diesen Kontrast zwischen öffentlicher Schule und privater Schule würde ich gar nicht so stark ziehen. Ausschlaggebend ist tatsächlich eher, ob Schulen über die notwendige digitale Ausstattung schon vor der Corona-Pandemie verfügten und ob sie Teil des Unterrichts gewesen ist oder nicht. An Schulen, auf die das zutrifft, hat der Distanzunterricht in der Regel funktioniert und umgekehrt – das gilt für öffentliche wie für private Schulen gleichermaßen. Sie finden auch in der Schullandschaft der Ersatzschulen eine unglaubliche Vielfalt. Wenn Ersatzschulen im Durchschnitt gut aufgestellt sind, bedeutet dies nicht, dass es keine Schulen mit Problemen gibt. Deshalb ist diese einfache Antwort, Distanzunterricht hat an Privatschulen funktioniert und an öffentlichen Schulen nicht, schlicht falsch. Ich habe jedoch beobachtet, dass sich die Schulgemeinschaften an Ersatzschulen zumeist gemeinsam gegen Corona gestellt haben. Lehrkräfte, Eltern, Schüler und Träger sind die Herausforderungen in der Regel zusammen angegangen.
EDL: Zurück zur Digitalisierung. Der Datenschutz gilt manchen als Digitalisierungsbremse. Einige der während Corona eingeführten Softwarelösungen und digitalen Tools drohen nun, verboten zu werden. Mit welcher Stimmung verfolgen Privatschulen die Diskussion?
Falk Raschke: Die DSGVO gilt für alle öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen, die personenbezogene Daten verarbeiten. Privatschulen fallen in den Bereich nicht-öffentlicher Stellen, sodass sie sich wie andere gemeinnützige Organisationen datenschutzkonform verhalten müssen. Die DSGVO gab es aber bereits vor Corona. Die Schulen in freier Trägerschaft sind das Thema im Jahr 2018 mit einem Sonderprogramm und zugehörigen Lehrgängen angegangen und haben sich datenschutzkonform aufgestellt.
EDL: Wurde sich dabei auf eine bestimmte Softwarelösung geeinigt?
Falk Raschke: Nein, im Privatschulbereich kommen neben allen gängigen Softwarelösungen – von Microsoft über Apple bis zu BigBlueButton – auch speziell für Schulen erstellte Software aus Deutschland – zum Beispiel SWOP – und teils sogar schuleigene Lösungen zum Einsatz. In diesen Fällen haben Unternehmen mit den Schulen zusammen die Software für den digital gestützten Unterricht entwickelt.
EDL: Was ist die größte Herausforderung der schulischen Digitalisierung für Privatschulen?
Falk Raschke: Corona hat gezeigt, dass Homeschooling funktioniert. Es ist in der Tat so, dass es erschreckend gut funktioniert hat. Dies fordert das uns vertraute Schulsystem heraus, denn damit stellt sich natürlich die Frage: Was macht Schule aus? Und: Lässt sich Schule auch vollständig in den digitalen Raum verlegen? Gesetzlich ist das aktuell zwar noch nicht möglich, aber mit Blick in die Zukunft wäre das durchaus denkbar. Internationale Konzerne könnten Bildung als skalierbare digitale Ware betrachten und versucht sein, dies in Deutschland scheinbar kostenlos anzubieten. Doch Schule zeichnet sich nicht nur durch Wissensvermittlung aus, Schule ist mehr: Schülerinnen und Schüler treffen hier ihre Peergroup, machen gemeinsame Erfahrungen, treten in direkte Interaktion. Ich bin der Überzeugung, dass der Ort Schule auch eine wichtige soziale Funktion hat und dass diese Art von Schule der reinen digitalen Schule immer überlegen sein wird; auch wenn die digitale Schule in bestimmten Segmenten sicherlich ihre Berechtigung hat. Ich denke zum Beispiel an Kinder von Diplomaten, die vielleicht in Ländern tätig sind, in denen es vor Ort keine deutsche Schule gibt. Warum sollten diese Kinder nicht über das Internet ihren Bildungsweg im deutschen Schulsystem weitergehen können? Doch hier in Deutschland kann die Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung nur ein qualitativ hervorragendes Präsenzangebot sein, das digitale Elemente selbstverständlich einbezieht, dabei aber insbesondere auf die persönlichen Fähigkeiten der Lehrkräfte aufbaut und auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingeht. Mir sind viele Schulen bekannt, die das bereits heute ganz hervorragend umsetzen.
Der VDP Hessen
Als Berufsverband vertritt der Verband Deutscher Privatschulen (VDP) Hessen e. V. die Interessen von derzeit rund 60 Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft in Hessen, die sowohl im allgemein- und berufsbildenden Schulbereich als auch in der Fort- und Weiterbildung tätig sind. Die Unterstützung der Bildungseinrichtungen durch professionelle Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit beschreibt der VDP Hessen als seine Hauptaufgabe. Darüber hinaus unterstützt der Verband seine Mitglieder in ihrer täglichen Arbeit, indem er sie über Neuerungen und Änderungen im Bildungssektor informiert sowie berät. Der Verband ist einer von zehn selbstständigen Landesverbänden, die Mitglied im Dachverband VDP Verband Deutscher Privatschulverbände mit Sitz in Berlin sind.