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„Diklusion“ – wie sich inklusiver Unterricht mit digitalen Medien erfolgreich gestalten lässt 

„Die Digitalisierung bietet große Chancen, den Unterricht inklusiver zu gestalten. Interaktive und barrierefrei gestaltete Lernmedien mit guter Begleitung durch pädagogische Fachkräfte ermöglichen individuelleres Lernen. Das erleichtert es, jedes Kind entsprechend seiner Voraussetzungen und Bedürfnisse zu fördern“ – sagt Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, gegenüber einfach.digital.lernen. Klingt gut. Aber was heißt das in der Praxis?

„Nehmen wir einmal an, Grundschulkinder sollen im Sachkundeunterricht etwas über die Tiere im Wald lernen“, antwortet Lea Schulz gegenüber dem Schulportal auf die Frage, wie ein digital gestützter inklusiver Unterricht aussehen kann. Eben so: zum Beispiel gemeinsam ein digitales Buch zum Thema erstellen.

„Wenn die Lehrkraft diese Stunde plant, wird sie zunächst die Unterrichtsziele festlegen. Diese sollten so formuliert werden, dass jedes Kind da abgeholt wird, wo es steht“ – klar, Voraussetzung für inklusiven Unterricht. „Zur Einführung würde ich den Kindern dann sagen, welche Hilfsmittel ihnen zur Verfügung stehen“, erklärt Schulz. „Das können Bücher sein, in denen sie nachschlagen dürfen und verschiedene digitale Hilfen, beispielsweise eine App, mit der Bücher abgescannt werden und mit der sich die Kinder die Texte anschließend vorlesen lassen können. Um weitere Informationen zu bekommen, würde ich die Schülerinnen und Schüler auf Kinderwebseiten oder -suchmaschinen aufmerksam machen oder auf eine digitale Tipptheke.“

Jedes Kind nach seinen Möglichkeiten

Kinder, die gut schreiben könnten, würden dann kleine Texte über die Tiere verfassen. „Andere Kinder könnten Zeichnungen dazu erstellen und Fotos und Videos hinzufügen oder Sprachaufnahmen, die sie selbst aufnehmen“, sagt Schulz. „Oder sie suchen passende Fotos im Netz und stellen damit ein eigenes Video zusammen.“ Alles zusammen ergibt dann das „Buch“ – eine Sammlung von Informationen, zu der jedes Kind einen Beitrag geleistet hat. Nach seinen Möglichkeiten eben. Dies ermöglicht es der Lehrkraft, den Bedürfnissen jeder Schülerin und jedes Schülers gerecht zu werden. „Es geht darum, im Blick zu haben, welche Stufe der Entwicklung jedes Kindes als nächstes erreichen kann“, betont Lea Schulz.

Sie muss es wissen: Die promovierte Sonderpädagogin forscht und arbeitet selbst zum Thema „Diklusion“, wie sie das Zusammenwirken von Digitalität und Inklusion nennt. Sie bildet Lehrkräfte aus und fort und schreibt Bücher zum Thema („Diklusion: digitale Tools in inklusiven Lernsettings“, Raabe Verlag).

Diklusion: Vom Hashtag zum Fachbegriff

Der Begriff „Diklusion“ ist von ihr einst als Hashtag eingeführt worden und hat sich mittlerweile zu einem Fachbegriff für inklusiven Unterricht mit digitalen Medien entwickelt, den auch die Aktion Mensch verwendet. „Diklusiver Unterricht beinhaltet nicht nur die Nutzung digitaler Medien zur Erhöhung der Teilhabe aller Schüler*innen am Unterricht, sondern dient auch in der Unterrichtsvor- und -nachbereitung der Lehrkraft als ein Mittel zur Optimierung der Qualität eines Unterrichts, der sowohl inklusiven wie auch digitalen Notwendigkeiten und Erfordernissen Rechnung trägt“, so heißt es dort zusammenfassend.

Die Aktion Mensch beschreibt auf ihrer Homepage die Potenziale diklusiven Unterrichts. „Assistive Technologien ermöglichen Menschen mit Beeinträchtigungen den Zugang zur digitalen Welt und bieten vielfältige Möglichkeiten, barrierefreier und eigenständiger am digitalen Geschehen teilhaben zu können“, heißt es.Das betrifft vor allem die Bedienung, Wahrnehmung und Verständlichkeit von digitalen Medien. Anwendungen wie Augensteuerung, Bildschirmvergrößerung, Brailleschrift, Vorlesesoftware, Spracheingabe, Schreibunterstützung, Orientierungshilfen oder barrierefreie Lernprogramme unterstützen hierbei einen gleichberechtigten Zugang. Auch Smartphone und Tablet bieten eine niederschwellige Bandbreite an Unterstützungsmöglichkeiten. Wer mit Hilfe von Technologie Zugang zu digitalen Welten hat, kann diese selbstbestimmter nutzen und ist im besten Falle deutlich weniger auf andere angewiesen. Gerade für inklusive Lernsettings bietet dies eine große Chance, denn die vielfältigen Zugangsmöglichkeiten erleichtern individuelles Lernen.“

Weiterer Punkt: „Digitale Medien bieten durch ihre Vielseitigkeit der Informationsaufbereitung für das inklusive Lernen großes Potenzial. Sie ermöglichen Visualisierung und Veranschaulichung, ob als Bild, Mindmap, Präsentation oder Online-Comic. Lernvideos können Lehrkräfte sehr gut bei der Wissensvermittlung methodisch-didaktisch unterstützen. Sie sind jederzeit abrufbar, was zum Beispiel für langsamer Lernende vorteilhaft ist. Interaktive Tools und Methoden wie Quizformate, Gamification Apps etc. helfen dabei, erworbenes Wissen zu festigen und anzuwenden. Auf diese Weise können gleiche Lerninhalte auf die Bedürfnisse einzelner Lernender individuell angepasst werden und alle Kinder und Jugendlichen lernen am gleichen Lerngegenstand.“

Lernplattformen helfen bei Aufbereitung und Verteilung von Lerninhalten

Für Lehrkräfte wichtig: „Auch für die pädagogische Konzeptarbeit bieten digitale Medien wertvolle Unterstützung: im Rahmen der Unterrichtsvor- und -nachbereitung sowie bei der Projektarbeit helfen digitale Tools bei der Differenzierung von Materialien und bei der Konzeption von Hilfestellungen. Bei der Organisation von Lernprozessen unterstützen Plattformen die individuelle Betreuung und Zuweisung von Lerngegenständen und -aufgaben sowie die Anwendung von kollaborativen Lernmethoden.“

Dass das in der Praxis nicht immer reibungslos funktioniert, macht Behindertenbeauftragter Dusel deutlich. „Inklusion und Digitalisierung werden von Schulen oft als zwei Aufgaben wahrgenommen, die noch zusätzlich bewältigt werden müssen“, sagt er. Neben einer vernünftigen digitalen Infrastruktur und barrierefreien Lernmedien bräuchten die Schulen deshalb praxistaugliche medienpädagogische Konzepte zum inklusiven Lernen. Immerhin: Der Bund gebe Rückenwind durch den Digitalpakt Schule und die Förderung von Forschungsvorhaben.

Dusel betont aber auch: „Als große Herausforderung sehe ich jedoch den Mangel an Lehrkräften in den Schulen. Genug Pädagog*innen mit Medien- und Digitalkompetenz sind die Voraussetzung, damit die Potenziale der Digitalisierung für ein inklusives Bildungssystem auch genutzt werden können.“ Im Klartext: Auch „Diklusion“ funktioniert nicht ohne engagierte Lehrerinnen und Lehrer – auf die kommt es an.

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