Foto: Tina Umlauf

Philologen-Vorsitzende Lin-Klitzing: „Lehrkräfte zu 100 Prozent unterrichten lassen und nicht mit allem möglichen Gedöns beschäftigen!“

Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands, war auf der didacta am Stand von AixConcept, dem IT-Dienstleister für Schulen, zu Gast – um sich im Interview mit Moderator Stefan Malter zur aktuellen Situation in den Schulen zu äußern. Dabei nahm sie kein Blatt vor den Mund. Das Video vom Auftritt ist nun erschienen.

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Der Lehrermangel sei „im Wesentlichen ein selbstverschuldetes Problem“ der Landesregierungen in Deutschland „und meine Perspektive ist, dass wir das für die nächsten Jahre und vielleicht auch Jahrzehnte nicht richtig zufriedenstellend werden lösen können“, sagte Susanne Lin-Klitzing. Sie glaube, die Gesellschaft müsse den Erwartungshorizont gegenüber Schule herunterschrauben, zumindest kurz- und mittelfristig. Langfristig müsse es darum gehen, die Personalsituation in den Schulen so aufzustellen, dass der Unterricht auch tatsächlich gesichert werden könne. Das sei nämlich nicht der Fall.

„In der Regel werden so viele Lehrkräfte eingestellt, dass damit rechnerisch um die einhundert Prozent des Unterrichts abgedeckt werden – das reicht aber natürlich nicht. Selbst wenn im regulären Unterrichtsgeschäft der Kollege auf Klassenfahrt geht, klar, fällt Unterricht aus, wenn er Projekte macht, fällt Unterricht aus, wenn er in Elternzeit ist, fällt Unterricht aus.“ Wer den Unterricht wirklich sichern wolle, müsse eine Stellenreserve aufbauen, um für solche Ausfälle oder Krankheitsfälle gewappnet zu sein. Lin-Klitzing gab das Ziel aus, „zu einer 130-prozentigen Unterrichtsversorgung zu kommen, um tatsächlich 100 Prozent Unterricht immer abdecken zu können“ – also 30 Prozent mehr Lehrkräfte einzustellen, als theoretisch für die reine Unterrichtszeit nötig wären.

Tatsächlich nerve sie Kultusministerinnen und Kultusminister mit der Forderung schon seit Jahren – so den Thüringer Bildungsminister Helmut Holter (Linke). Der habe ihr gesagt, dass er das bei seiner Finanzministerin Heike Taubert (SPD) niemals durchbekommen würde. Lin-Klitzing klopfte kurzerhand auch bei ihr an. Ergebnis: „Die Finanzministerin sagt mir, sie habe keinen Antrag der Kultusbehörde vorliegen.“

Zu den wirklich Mächtigen gehört der Kultusminister in der Regel nicht

Heißt: Es werde nicht einmal versucht, die Personalausstattung der Schulen auf ein gutes Niveau zu bekommen. Ties Rabe, der Hamburger Bildungssenator (und Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien in Deutschland) verdrehe schon die Augen, wenn sie ihn auf die 130 Prozent anspreche. „Man muss es halt versuchen“, sagt Lin-Klitzing, weiß aber auch: „Zu den wirklich Mächtigen gehört der Kultusminister in der Regel nicht.“ Um wirklich Substanzielles für die Schulen zu erreichen, müssten Ministerpräsidenten und Finanzminister überzeugt werden.

Zurück in die Schulen. Susanne Lin-Klitzing wandte sich energisch gegen die fast in allen Bundesländern drohenden Einschränkungen der Teilzeitmöglichkeiten für Lehrkräfte – und nahm die Kolleginnen und Kollegen in Schutz, die Teilzeit in Anspruch nehmen, um der Aufgabenfülle überhaupt noch Herr werden zu können. Bei einem Volldeputat sei das nämlich kaum mehr möglich. Hingegen lasse sich mit einem dreiviertel Lehrauftrag noch „wirklich guter Unterricht machen, weil mit 17, 18 Stunden Unterrichtsdeputat eine gute Vorbereitung eine gute Nachbereitung und vernünftige Individualisierung“ möglich sei.

Um den Lehrkräftemangel wirklich zu bekämpfen, muss es laut der Philologen-Bundesvorsitzenden zunächst einmal darum gehen, die Belastung im Beruf zu senken. Lehrkräfte „sollten von den unterrichtsfernen Tätigkeiten befreit werden. Was ist das? Dazu gehört beispielsweise in Berlin, dass die Kolleginnen und Kollegen abfragen müssen, ob die Kinder alle gegen Masern geimpft sind, dazu gehört in Bremen, dass die Lehrkräfte den individuellen IT-Zugang für ihre jeweiligen Schülerinnen und Schüler in der Klasse übernehmen müssen.“ Dazu gehöre vielerorts, dass Lehrkräfte sich mit Abrechnungen von Klassenfahrten herumschlagen müssten. Oder als IT-Administratoren eingespannt würden, was in professionelle Hände gehöre („Das sind keine Lehrkräfte, das sind Profis im Bereich IT“).

Susanne Lin-Klitzing: „Wir wissen durch empirische Untersuchungen, dass von einer Unterrichtsstunde eigentlich nur ein geringer Teil noch für den eigentlichen Unterricht bleibt – und der wird durch solche Dienstleistungen natürlich noch kleiner.“ Ihre Forderung: „Lehrkräfte zu 100 Prozent unterrichten lassen und nicht mit allem möglichen Gedöns beschäftigen.“ EDL

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